Im Schatten der Vergangenheit
Depressionen, Angstzustände, Aggressivität oder zwanghaftes Verhalten: Eine posttraumatische Belastungsstörung kann sich in vielfältiger Weise äußern. Als traumatisch erlebte Ereignisse können bei fast jedem Menschen eine tiefe seelische Erschütterung mit der Folge einer Überforderung des angeborenen biologischen Stresssystems verursachen. Der Körper ruft gewissermaßen den Notstand aus. Somit wirkt sich ein Trauma nicht nur seelisch, sondern auch körperlich aus. Betroffene leiden oftmals unter zahlreichen körperlichen Beschwerden, für die keine organische Ursache gefunden werden kann. Die Beschwerden können sehr vielfältig sein und jedes Organsystem umfassen. Nicht selten treten mehrere Symptome gleichzeitig auf. Besonders häufig sind chronische Schmerzzustände, Beschwerden des Verdauungssystems, Erschöpfung, Schwindel sowie Beschwerden im Bereich des Herzens, der Atmung sowie des Harn- oder Genitaltraktes. Wichtig sind eine eindeutige Diagnose und individuell abgestimmte Therapiemaßnahmen, um Abhilfe zu schaffen.
Trauma bewältigen
Traumatische Erlebnisse können einmalig vorkommen, etwa bei Unfällen oder Terroranschlägen, oder sie dauern länger an, beispielsweise bei Missbrauch, im Krieg oder in Gefangenschaft. Bei Naturkatastrophen sind sie schicksalhaft, bei Folter oder Geiselnahme gezielt von anderen Menschen verursacht. In jedem Fall sind solche Erlebnisse ein Einschnitt im Leben der Betroffenen. Ob sich daraus eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, hänge auch von der Persönlichkeit und den Lebensumständen der Opfer ab, sagt Professor Dr. Arno Deister, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.
Erneutes erleben des Ereignisses
Drei Symptome seien entscheidend für die Diagnose, sagt der Psychiater aus Itzehoe:
- Der Patient durchlebt die Situation immer wieder neu und befindet sich „mitten drin“.
- Er zeigt ein Vermeidungsverhalten: entweder meidet er spezielle Situationen (wie beispielsweise Autofahren nach einem traumatischen Verkehrsunfall, Prüfungssituationen, Menschenansammlungen u.a.) oder bestimmte Emotionen, etwa indem er sich zurückzieht und antriebslos wird.
- Der Patient ist leicht erregbar oder zu irritieren: Er fühlt sich unter Druck, ist schnell gereizt oder abgelenkt.
All das stehe oft in zeitlichem Zusammenhang mit dem Erlebnis, komme einige Tage bis Monate nach dem Trauma zum Tragen – oder nach dessen Bewusstwerdung, so Deister. Denn manchmal seien die Erinnerungen erst viele Jahre später wieder zugänglich, etwa nach einem Missbrauch.
Annehmen und Hilfe suchen
Sobald die Diagnose feststeht, ist es für die Betroffenen und ihre Angehörigen wichtig, die Störung zu akzeptieren. Dr. Monika Körwer, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in Grevenbroich, berichtet von Schamgefühlen seitens der Opfer. Eine gezielte Psychotherapie könne helfen, die Blockaden zu überwinden. Erstes Ziel dabei sei immer, die Betroffenen aus ihrer Opferrole zu lösen, damit sie ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten, sagt Körwer. Dafür sei es wichtig wieder Vertrauen in Menschen und Situationen zu entwickeln. Möglich sei das nur in sehr kleinen Schritten, etwa mit neurophysiologischen Verfahren wie EMDR. Das Kürzel steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, wobei bestimmte lindernde Erregungszustände im Gehirn durch Augenmuskelbewegungen aktiviert werden. Aber auch imaginative Verfahren und Entspannungstechniken haben sich bewährt.
Trauma – Behandlung nach Bedarf
Manchmal führt die Behandlung bereits nach wenigen Monaten zum Erfolg. So war es bei einer Patientin von Körwer, die einen traumatischen Fahrradunfall hatte und anschließend jedes Mal mit heftigem Zittern oder sogar Ohnmacht reagierte, wenn sie auf ihr Fahrrad steigen wollte. So sei dies nach vier Monaten EMDR und Einzeltherapie komplett behoben worden, berichtet Dr. Monika Körwer aus ihrer Praxis. Eine andere Patientin konnte sich, ausgelöst durch eine bestimmte Behandlung im Krankenhaus, wieder an ein frühes Trauma erinnern: eine Entführung in der Kindheit. Die Patientin sei nach mehr als einem Jahr noch in Behandlung, aber auf dem Weg der Besserung. In manchen Fällen lassen sich die Symptome nicht ganz ausheilen, so Körwer. Der Heilungsprozess kann einige Jahre dauern und braucht Geduld. Den Glauben an die Genesung darf man nie aufgeben. Auch, wenn die posttraumatische Belastungsstörung chronisch geworden sei – deutlich mildern lassen sich die Symptome durch eine gezielte Behandlung, sagt Körwer.